Biotolith

Küstenschutz mit Mikroorganismen :: Masterarbeit 2017


Ausgehend von der Forschungsfrage inwieweit Biologie die Gestaltung und Architektur, sowie die gesellschaftlichen Strukturen in der Zukunft beeinflussen wird, ist eine konzeptuelle Arbeit entstanden, die sich mit einer biotechnisierten Landschaftsarchitektur gefährdeter Küstenregionen beschäftigt.

 

Die Fortschritte in der Biologie haben neue Möglichkeiten und Debatten eröffnet unser Umfeld und Lebensräume zu gestalten. Was wäre, wenn wir in der Zukunft auch unsere Natur neugestalten müssen? Wenn natürliche Landschaften nicht mehr existieren können und die Natur neu definiert werden muss? Kann der Mensch einen Nutzen aus neuen Landschaften ziehen? Wenn er Berge entstehen lassen könnte, kann er sich dadurch vor dem steigenden Meeresspiegel schützen? 

 

Mehr als 70% der Küsten der Erde sind heute durch Erosion gefährdet. Durch den Anstieg des Meeresspiegels als Folge des menschengemachten Klimawandels wird Küstenschutz immer stärker gefördert. Vor allem in den westlichen Industriestaaten werden jährlich Millionen Tonnen Sand vom Meeresboden gesaugt und an den Küsten gefährdeter Regionen aufgeschüttet. Deiche werden immer höher und breiter, um das Wasser auszuschließen. Diese massiven Konstruktionen reichen aber nicht mehr aus. Angesichts der Knappheit von natürlichen Ressourcen und der ökologischen Auswirkungen bei der Herstellung von herkömmlichen Baumaterialien, wird intensiv an alternativen biologischen Materialien in der Bauindustrie geforscht. Die Biomineralisation ist das Verhalten von Mikroorganismen in der richtigen Umgebung Kalk zu produzieren. Anstatt Baumaterialien mit hohem Energieaufwand herzustellen, steckt in Biomineralisation das Potenzial Gesteine wachsen zu lassen.

 

Biotolith ist eine Vision, lebenserhaltende Dünen in Küstenregionen mit Hilfe von biologischen Prozessen zu stabilisieren, gestalten und wachsen zu lassen. Der Mensch agiert somit, mit Hilfe von Mikroorganismen, als Gestalter der Natur, um nachhaltig Ökosysteme zu bewahren und eine Symbiose von umorganisierten Landschaften mit natürlichen Systemen herzustellen. Sie strebt eine Anpassung an veränderten Umgebungen an, indem die Küsten mit dem Meeresspiegel auf einer natürlichen Weise mitwachsen. 


1  Weiche Küsten


Problemstellung 

 

Da vor allem Küstenregionen wegen ihren guten Lebens- und Wirtschaftsbedingungen besonders dicht besiedelt sind, bedroht der Anstieg des Meeresspiegels weltweit den Lebensraum von Millionen von Menschen. Die Erde hat sich über die Erdzeitalter immer wieder neuem Wandel unterzogen, jedoch ist die alarmierende Veränderung der Ozeane in den letzten 200 Jahren besonders brisant und auf den Eingriff der Menschen zurückzuführen. Durch die Industrialisierung ab Ende des 19. Jahrhunderts und der damit einhergehende gesellschaftliche Wandel, hat sich auch die Umwelt und in Folge dessen das Klima rasant verändert. 

 

  

Die bereits entstandenen Schäden im globalen Klimasystem und die zu erwartenden Folgen, haben gezeigt, dass neben dem erforderlichen Klimaschutz auch Maßnahmen zur Klimaanpassung notwendig sind.

 

 


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Simulation Küstenlinie
Mitteleuropa bei einer
Erderwärmung von +2°C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit




Maßnahmen im Küstenschutz an der Nordsee

 

Wirksamer Küstenschutz an der Nordsee ist von erheblicher Bedeutung um die Lebens-grundlage an den Küstengebieten zu erhalten. Ein nachhaltiger Schutz gilt mittlerweile nicht nur dem Menschen, sondern auch der Nordsee selber. Deswegen werden aktuell viele neue naturverträgliche Schutzmaßnahmen erforscht und auf Renaturierungen der Küsten gesetzt. Erfahrungen haben zudem gezeigt, dass massive Schutzanlagen nicht überall sinnvoll bzw. möglich sind. Dämme und Deiche sind nach wie vor unverzichtbar, aber der Trend von starren Bauwerken geht auf naturverträglichere und attraktivere weiche Maßnahmen zurück.

 

In den Niederlanden werden jährlich im Schnitt

12 Mio. m3 Sand an und vor den Küsten aufgeschüttet.

 

75% der niederländischen Küste besteht aus sandigen Stränden und Dünen, die das Festland vor Sturmfluten schützen. Die Nutzung von Sandersatz ist allerdings ein kostspieliges und zeitintensives Unterfangen, welche massive Eingriffe in bestehende Ökosysteme bedeutet.

 

Es stellt sich die Frage, ob es mit den neuen technologischen Errungenschaften in der Biolo-gie gestalterische Maßnahmen gäbe, Dünen nachhaltig sowie naturverträglich befestigen zu können.


Prinzip der Biomineralisation


Mikroorganismen: Sporosarcina pasteurii 

 

Der Bakterienstamm Sporosarcina pasteurii hat sich in der Forschung für die Biozementierung wegen seiner Eigenschaften und hoher Effizienz weitgehend durchgesetzt.

S. pasteurii ist in der Natur in Böden, Gewässern und im Abwasser zu finden. Sie besitzen das Enzym Urease, weshalb sie in der Lage sind Harnstoff (Urea) zu spalten. Bei der Spaltung entstehen geladene Carbonationen (CO32-), die sich wiederum, wenn gelöst vorhanden, mit Calciumionen verbinden und in Calciumcarbonat auskristallisieren.

 

In den gängigsten Versuchsreihen für die Ausfällung von Kalk werden zu einer Kultur S. pasteurii eine entsprechende Menge wässriger Nährlösung aus Urea und Calciumchlorid gegeben. Wenn dem Nährmedium zusätzlich ein mineralischer Stoff wie Sand beigefügt wird, dann agiert der resultierende Kalk wie ein Kleber zwischen den Sandkörnern. Dies ist das zugrundeliegende Prinzip für die Entstehung von biologischem Zement.

Die mikrobielle Biomineralisation ist ein Prozess in der Natur, in der Mikroorganismen als Teil ihres Stoffwechsels anorganische Produkte wie Kalk herstellen.

 


 

Prinzipzeichnung der Biozementation.                               >

 

Dem losen  Sand werden Bakterien (S. pasteurii), Urea- und Calciumchlorid-Lösung hinzugegeben. Nach kurzer Zeit produzieren die Bakterien Kalk, was die Sand-körner verklebt und in einer festen Form aushärten lassen. Die Wirksamkeit der Kalkproduktion ist beson-ders hoch, denn die Bakterien brauchen wenig Zeit um einen relativ hohen Ertrag zu erzielen. Dabei muss keine Energie zugefügt werden, da die Reaktion en-zymatisch abläuft.


Versuchsaufbau für die Biomineralisation im Labor
Versuchsaufbau für die Biomineralisation im Labor

Form & Anforderungen


Konzept

 

Die Gestalt des biozementierten Steins soll sich naturverträglich in die Landschaft einfügen. Sie muss deswegen einem Konzept unterliegen, sodass das Verhalten der Mikroorganismen gesteuert werden kann. Die erforderlichen Maßnahmen tragen zu einer nachhaltigen und stabilen Struktur des Gesteins bei. Es ist eine wachsende Struktur, die sich selber nach und nach aufbauen soll und sich wie ein feingliedriges Wurzelwerk in die Düne schlägt. Da das Wachstum gesteuert und berechnet werden muss um die Stabilität zu garantieren, ist es notwendig, die Mineralisation mit Hilfe eines anderen kontrollierbaren Organismus zu fördern.


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Inspiration aus der Botanik: Pflanzen die auf sandigem Boden wachsen, haben ein besonders langes und fein-gliedriges Wurzelwerk.



Anforderungen



Formfindung und Versuchsreihe

 

Inspiration wurde zunächst in der Natur gefunden. Es gibt viele natürlich vorkommende Formationen in Sandstein, die durch Zeit, Witterung und Umwelteinflüsse über Jahrtausende entstanden sind. Diese natürliche Steinstrukturen sind heute immer noch äußerst stabil und haben aus statischer sowie ästhetischer Sicht zu der äußerlichen Gestaltung von Biotolith beigetragen. Zugleich wurden andere Naturphänomene betrachtet. Mineralisation erfolgt durch Kristallisation, die von chemischen Faktoren beeinflusst wird und auf den exakten Aufbau ihrer Moleküle runtergebrochen werden kann. Dazu zählen auch Korallenriffe. Diese haben eine feingliedrige feste Struktur und sind besonders stabil. Dabei gehen solche Strukturen in der Natur auf das Prinzip der Fibbonacci-Folge zurück.

 

Letztendlich werden Dünen nachhaltig von Pflanzen befestigt. Ihre feinen Wurzelwerke breiten sich tief in den Sand aus und sind durch ihre Elastizität flexibel. Biotolith soll einen ähnlichen Aufbau haben. Die Struktur muss fein, aber stabil sein, und sich ebenfalls wie ein Wurzelwerk durch die Dünen schlingen. Natürliches Wachstum, Veraderung und Ausdehnung haben den Entwurf am Ende geprägt. Dabei können Wege und Nischen architektonisch mitgestaltet werden. 


Ergebnis des Versuchs: Durch Mikroorganismen versteinerter Sand
Ergebnis des Versuchs: Durch Mikroorganismen versteinerter Sand


Eine angesetzte Kultur Physarum polycephalum. Anfangs breitet sie sich aus um die Nährstoffe zu entdecken.
Eine angesetzte Kultur Physarum polycephalum. Anfangs breitet sie sich aus um die Nährstoffe zu entdecken.

Physarum polycephalum

 

Nun musste eine Lösung gefunden werden, wie die Bakterien in der gewünschten Form ihre Mineralisation vornehmen. Die Idee ist, dass die Mikroorganismen eine Symbiose mit einem steuerbaren Organismus wie dem Physarum polycephalum eingehen.  Es ist eine Art von Schleimpilz und mit seiner Hilfe soll Biotolith wachsen.

 

Physarum polycephalum fasziniert wegen seinem spektakulären Verhalten schon seit langem die Wissenschaft. 

 

Der Organismus besteht aus einer großen Zelle, die mit dem bloßen Auge sichtbar ist und gleicht einer Amöbe. Bei der Vermehrung teilt er den Zellkern in zwei ohne die Zelle selber zu teilen. So wächst sie sich mit unzähligen Zellkernen immer größer. Auf der Suche nach Nahrung kann er sich durch pulsierende Ströme fortbewegen. Dabei hinterlässt er eine „aderförmige Struktur“. Studien haben erwiesen, dass Schleimpilze chemische Rezeptoren haben und auf Reize reagieren. Zugleich sind sie in der Lage aus Erfahrungen zu lernen. Dies haben Versuche mit Schleimpilzen in Labyrinthen gezeigt. Bei Sackgassen zieht er sich zurück und tastet sich den nächsten Weg voran. Er findet immer den schnellsten Weg zur Nahrungsquelle und wächst dann zu einem dicken Strang direkt dorthin. Diese Handlungsweise wird unter anderem für Stromnetzwerke und neue Infrastrukturen studiert. Auch für die Robotik ist das pulsierende Wachstumsverhalten, sowie das Ausweichen von Hindernisse von großem Interesse. In aktuellen Studien werden Roboter mit Schleimpilzalgorithmen gesteuert und können dadurch Überforderungen entgegenwirken.

 

Dieses Verhalten soll für Biotolith adaptiert werden. In Symbiose mit einem Organismus wie dem Schleimpilz, kann die Biomineralisation wie ein 3D-Druckverfahren innerhalb der Düne agieren.

 

Physarum polycephalum wird mit den Nährstoffen der Bakterien angereichert. Somit folgen die Bakterien dem Schleimpilz beim Wachstum. Die kohlenhydratreichen Nährstoffe des Schleimpilzes sind in den Dünen so injiziert, dass er die Richtung aufnimmt wie die berechnete Struktur und so das Wurzelwerk aufspinnt.  

Aufbau


Entstehung

 

Zunächst werden die Bakterien bei der Aufschüttung des Sandes gleichmäßig in die Düne verteilt. Bei dem Aufbau der Düne soll abwechselnd Sand und Bakterienlösungen geschichtet werden. Dabei verdichten Bagger und Walzen die Sandmassen auf dem Strand. Die Nährstoffe, welche die Reaktion für den Biozement auslösen, werden dann mit Hilfe von einem zweiten Organismus, den Schleimpilz, geliefert. Dieser bestimmt das Wachstumsverhalten. Das Wachstum von einem Schleimpilz kann gesteuert werden. Die Struktur muss statisch berechnet werden, wobei mit Hilfe von Algorithmen Nährstoffe für den Schleimpilz „gesät“ werden, indem sie in die fertige Düne injiziert werden. Das geschieht mit meterlangen Düsen, die Kohlenhydrat-haltige Nährmedien für den Schleimpilz in den Sand spritzen. Beim Wachstum des Schleimpilzes passiert er auf dem Weg durch die Düne die Bakterien. Diese werden mit den mitgebrachten Urea- und Calciumchlorid-Lösung aktiviert und beginnen den Mineralisierungsprozess. So wird die Struktur des Schleimpilzes nachgebaut und versteinert.




Aufbau



Modellbau

Schnitt Düne mit Biotolith M1:200
Schnitt Düne mit Biotolith M1:200

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